Ihr seid als Produktionsfirma im Dokumentarfilmbereich erfolgreich und sehr aktiv. Kannst du uns kurz etwas über das Selbstverständnis eurer Firma sagen?
Als gelernter Kulturwissenschaftler bei Thomas Macho, Christina von Braun, Friedrich Kittler interessiere ich mich vor allem für die Zusammenhänge in der Welt – und die Welt ist groß. Wir fühlen uns dem Projekt der Aufklärung verpflichtet und verorten uns als Kosmopoliten in der Welt. Die Rolle des Produzenten beim Dokumentarfilm ist dabei relativ komplex. In der Öffentlichkeit wird ja immer noch davon ausgegangen, dass er nur die Gelder bereitstellt und der Regisseur als Genie für den ganzen Rest und die Erzählung zuständig ist. Film ist jedoch vor allem Teamarbeit mit vielen verteilten Rollen. Der Produzent ist der kreative Motor und letztverantwortlicher für alle Bereiche des Films, finanziell, juristisch, inhaltlich und vor allem für die filmische Erzählung.
Ihr habt Filme wie »Inside Mossad«, »Digitale Dissidenten« oder auch über die Swiss-Leaks produziert. Recherche und Gespräche mit Informanten und Aussteigern sind dementsprechend wichtig. Wie arbeitet ihr, um an brisante Informationen zu kommen?
Basis solcher Projekte ist Vertrauen. Wir betreiben eine Art »Business of trust« mit unseren Protagonisten und Informanten. Bei dem Swiss-Leaks-Film »Falciani und der Bankenskandal« habe ich ein Vertrauensverhältnis mit dem Whistleblower Hervé Falciani aufgebaut. Das war recht schwierig, da er auf der Flucht vor den Behörden war und unter der ständigen Angst litt aufgrund seines Wissens über Schweizer Schwarzgelder der Mafia und aller möglicher Diktatoren ermordet zu werden.
Bei unserem Dokumentarfilm »Digitale Dissidenten« und der interaktiven Live-Übertragung des Theaterstücks von Angela Richter »Supernerds« haben wir auch mit vielen Whistleblowern zusammengearbeitet. Ich erinnere mich noch, wie merkwürdig es bei den Vorgesprächen zuging, da alle Handys in den Kühlschrank gelegt werden mussten. Auch bei der Zusammenarbeit mit Geheimdiensten gibt es eine Art »Business of trust«, das heißt, wir sprechen sehr genau ab, zu was die Protagonisten bereit sind zu veröffentlichen und was nicht. Wir würden nie etwas veröffentlichen, was gegen unsere Abmachungen ist. Auch beim Schnitt achten wir stark darauf, unsere Protagonisten nicht vorzuführen. Es ist sehr leicht, durch den Filmschnitt Dinge in einem anderen Kontext darzustellen. Menschen liefern sich uns und der Öffentlichkeit aus, geben manchmal bei gut vorbereiteten Filmaufnahmen mehr preis, als es ihnen lieb ist, dennoch würden wir einem Protagonisten nie eine editoriale Kontrolle über das Material geben.
Wie kam es konkret zum Projekt The Cleaners? Was war euer Ausgangspunkt?
Mit dem Weg in die digitale Gesellschaft befinden wir uns wahrscheinlich an einem der größten Scheidewege der menschlichen Zivilisation. Das Problem ist, dass der Mensch über keinerlei Bilder für das verfügt, was da auf ihn zukommt, und entsprechend die digitale Gesellschaft nicht denken kann. Für mich ist das eines der wichtigsten und spannendsten Themen überhaupt. Vergebens hatte ich mich in der Vergangenheit darum bemüht, einen Film über Apple zu machen. Mich hat unter anderem interessiert, wie das erfolgreichste Unternehmen der Welt es schafft, eine undurchdringliche Geheimhaltung um ihre Produkte und Pläne aufrecht zu halten. Gibt es eine Art Geheimdienst, der alle Mitarbeiter kontrolliert und selbst Aussteiger zum Schweigen bringt? Dafür bin ich vor Jahren in die USA gereist, habe mich mit den Autoren von Büchern zu Apple getroffen und hochrangige Journalisten getroffen. Auf dieser Reise wurde mir klar, dass es unmöglich geworden ist, über dieses Unternehmen einen kritischen Film zu machen. Alle Autoren und Journalisten bestätigten mir, dass sie nichts Kritisches zu Apple veröffentlichen könnten, da sie ansonsten aus dem Pool derer fliegen, die mit den neuesten Informationen zum Unternehmen versorgt werden. Das galt selbst für Journalisten der Washington Post. Da platzte die Email von den beiden Theaterregisseuren rein, die von einer Schattenindustrie in Manila sprachen und dass es dort tausende Content-Moderatoren gebe, die die sozialen Medien durchforsten. Wir bauten um die beiden Debüt-Regisseure und den Creative Producer Georg Tschurtschenthaler ein extrem erfahrenes Team auf, das sich in die Recherche um das Thema vertiefte und in Zusammenarbeit mit den Regisseuren Protagonisten ausfindig machte. Ich selbst hatte unzählige Gespräche und Treffen mit Journalisten Der Zeit, der SZ oder vom Guardian, doch bemerkten wir, dass wir hier mit dem Thema Content-Moderatoren Neuland betreten und alles selbst in die Hand nehmen müssen.
Kamt ihr in direkten Kontakt mit Facebook & Co.? Gab es Antworten? Behinderungen?
Wir haben Google, Twitter und Facebook kontaktiert und ich habe persönlich mit dem Chef für Öffentlichkeitsarbeit von Facebook-Europa telefoniert. Außer, dass wir kein einziges Interview mit einem aktiven Mitarbeiter von auch nur einer der Firmen bekommen haben, kann man eigentlich nicht von einer aktiven Behinderung sprechen. Zwar ist den Outsourcing-Unternehmen in Manila aufgefallen, dass wir vor Ort recherchieren und Content-Moderatoren von ihnen ansprechen – woraufhin sie ihren Tausenden von Mitarbeitern noch einmal offiziell verboten haben, mit uns zu sprechen, verhindern konnten sie es aber nicht.
Wie lässt sich erklären, dass die Firmen, die die Bilder für Facebook & Co. prüfen und löschen, so geheim gehalten werden müssen, andererseits von Seiten der Auftraggeber aber betont wird, dass man immer mehr Mitarbeiter dafür einsetzt?
Tristan Harris, product philosopher und ehemals zuständig für Ethik-Fragen bei Google, weist ja immer wieder darauf hin, dass die größten Supercomputer der Welt in der Hand der Unternehmen Facebook und Google sind und »auf die Hirne der Menschen, auf Kinder angesetzt sind«. Was Google und Facebook auf jeden Fall vermeiden möchten, ist ein öffentlicher Diskurs darüber, was auf ihren Plattformen zu sehen sein soll und was nicht. Sie müssten dafür transparent machen, wie sie Informationen und Inhalte verarbeiten, was sie unter allen Umständen verhindern wollen. Ihre öffentlichen Ankündigungen, mehr Mitarbeiter zu beschäftigen, die sich um das Moderieren der Inhalte kümmern oder gar die Behauptung, dass die Maschinen das bald in den Griff bekommen, sind hilflose Nebelbomben. Sie kontrollieren die Öffentlichkeit, möchten jedoch selbst nicht durch die Öffentlichkeit kontrolliert werden.
Seid ihr bei euren Recherchen konkreten Bedrohungen ausgesetzt? Gibt es Momente der Angst?
Es gab ständig die Angst davor, sich mit dem reichsten Unternehmen der Welt anzulegen. Sollten die einen Prozess gegen uns anstreben, sind unsere Chancen sehr gering, da die Prozesskosten nicht von uns zu tragen wären. Leider lassen die öffentlich-rechtlichen Sender uns Produzenten bei investigativen Stoffen im rechtsfreien Raum stehen. Wir müssen die Sender von allen Rechtsstreitigkeiten freihalten, selbst bei durch die Sender betreuten Filmen. Dies ist auch der Grund, warum bestimmte Themen nicht mehr angegangen werden oder eben so lasch, wie bei Filmen über die Deutsche Bank oder VW, wo die Unternehmen die Filme nur als Sprachrohr verwenden. So gibt es z.B. keinen kritischen investigativen Film über extrem reiche Unternehmer, wie z.B. die republikanischen Koch-Industry Brüder. Undenkbar, dass sich jemand mit ihnen anlegt, da es zugleich der eigene Untergang wäre. In unserem Fall habe ich sehr eng mit spezialisierten Anwaltskanzleien in den USA und Europa zusammengearbeitet. Wir haben darauf gepokert, dass das Letzte was Google, Twitter, Facebook und Co. möchten, ein öffentlicher Rechtsstreit ist. Doch ich muss zugeben, dass ich schlaflose Nächte hatte, ob dass alles so aufgeht.
Wir wissen ja auch aus dem Kunstbereich, dass kritische Journalisten kein Bildmaterial mehr bekommen, wenn sie einmal negativ oder auch nur kritisch über einen Künstler, eine bestimmte Galerie oder eine Sammlung geschrieben haben. Welchen Formen von Informationsverweigerung begegnet ihr bei euren Recherchen, zum Beispiel mit Politikern?
Leider ist das auch bei journalistischen Filmen der Fall. Firmen und Politiker suchen genau aus, mit wem sie bereit sind zu sprechen, und sie stellen sich nicht mehr der Öffentlichkeit. Interviews müssen vorher abgesprochen werden, Fragen vorher eingereicht werden, und es wird durchkalkuliert, was es dem Unternehmen oder Politiker bringt, öffentlich Stellung zu beziehen. In unserem Film über die Swiss-Leaks z.B. war es unmöglich Wolfgang Schäuble vor die Kamera zu bekommen. Er hatte persönlich mit der Schweiz den Deal zu den Schwarzgeldern auf den Schweizer Nummernkonten ausgehandelt. Es war ihm klar, dass wir kritische Fragen stellen würden, und dem geht er dann mit Selbstverständlichkeit aus dem Weg. Es ist ein Skandal, dass Minister und von der Gesellschaft ausgestattete Mandatsträger der Öffentlichkeit sich nicht mehr rechenschaftspflichtig fühlen. Da fängt für mich bereits Zensur an.
Ihr habt den Film auch vor der EU-Kommission und anderen politischen Gremien gezeigt. Sind diese mit der Thematik vertraut?
In Fachkreisen ist der Film bekannt durch seine vielen Screenings. EU-Justizkommissarin Vera Jourová, welche die Federführung bei den neuen Regulierungsgesetzen der EU inne hat kennt den Film. Er ist im Kabinett im Umlauf und entfaltet dort seine Wirkung. Demnächst soll der Film im Bundestag gezeigt werden, auch Mitglieder des US-Senates haben schon angefragt. Wir treffen jedoch auch immer wieder auf Politiker, für die das alles Neuland ist, welche die Dimensionen der sozialen Medien nicht wirklich verstanden haben. Das liegt daran, wie Politik in repräsentativen Demokratien organisiert ist. Die Politik lässt sich zum großen Teil durch Lobbyisten informieren und fortbilden. Da gibt es dann die gut organisierten und gut bezahlten Lobbyverbände, die Google, Facebook, Microsoft etc. vertreten. Auf der Gegenseite gibt es Großverleger, denen es vor allem um die entgangenen Einnahmen geht, die ihnen die Intermediäre entziehen, da sie so stark geworden sind. Unabhängige, nicht-kommerzielle Stimmen haben es da schon viel schwieriger, da ist der Dokumentarfilm ein geeignetes Medium diese zu stärken.
Unabhängig vom Quellenschutz – wo liegen für euch die Grenzen des Zeigbaren?
In einem Film, der sich an ein großes Publikum wendet, gibt es einen extrem schmalen Grat des Zeigbaren. Zum einen gibt es den Jugendschutz, der bestimmte Bereiche des Zeigbaren reglementiert. The Cleaners z. B. ist erst ab 16 Jahren in Deutschland zugelassen, da wir uns nach sehr langen Diskussionen dazu durchgerungen haben, auch Bilder, wie die der Enthauptung einen Journalisten durch die ISIS zu zeigen. Es gab viele Argumente für und wider, diese Szenen in den Film aufzunehmen. Wir wollten dem Zuschauer ein Gefühl dafür geben, welcherart Bildern die Content-Moderatoren ausgesetzt sind, was diese Bilder bei Menschen ausrichten, die tagtäglich mit solcher Brutalität konfrontiert sind.
Die »Grenzen des Zeigbaren« sind stark kulturell und politisch geprägt, und dies ist ja gerade das Dilemma von weltweit agierenden Unternehmen wie Google und Facebook. Während eine nackte Brust oder Genitalien in Westeuropa immer in ihrem entsprechenden Kontext zu betrachten sind, sind solche Bilder im Silicon Valley tabu und werden zensiert. In diese Zensur-Falle ist ja auch ein Content-Moderator gegangen, als er Nick Úts ikonisches Kriegsfoto von 1972 auf Facebook gelöscht hat. Das Foto zeigt vor den Napalm-Bomben in Vietnam fliehende Kinder, in der Mitte ein neun Jahre altes Mädchen, schreiend, nackt. Für die einen ein zeitgeschichtliches Dokument, für die anderen ein kleines Mädchen mit unverhüllten Genitalien. Doch es betrifft auch politische Beispiele, wie sie Nicole Wong von Google in unserem Film beschreibt. Bilder von Kurdistan und dem ehemaligen PKK-Führer Abdullah Öcalan sind auf YouTube nicht erwünscht – aufgrund der Intervention der türkischen Regierung, die Videos auf YouTube von Öcalan nicht nur in der Türkei, sondern weltweit zu verhindern versucht.
Auch der Diskurs um unseren Film ist extrem kulturell bedingt. In den USA wird z.B. eine komplett geblurrte und gepiepte Fassung auf dem öffentlich-rechtlichen PBS zu sehen sein. Auf Arte und der ARD sowie in vielen westeuropäischen Ländern gab es eine Zwischenfassung zu sehen, und nur im Kino konnte die weitgehend ungeblurrte Fassung gezeigt werden, weil der Zuschauer sich bewusst dafür entschieden hat, den Film zu sehen. Diese Grenzverschiebungen des Zeigbaren haben auch ökonomische Konsequenzen. Je stärker ein Film an die Schmerzgrenzen geht, desto weniger Zuschauer möchten sich das zumuten und desto geringer werden natürlich die Verwertungschancen für einen Film.
Es gibt aber auch noch ganz andere Aspekte der »Grenzen des Zeigbaren«: Wir hatten z.B. mit unseren amerikanischen Executive Producern größte Auseinandersetzungen um eine Szene im Film, wo wir einen rechtsradikalen Rassisten zeigen, der Facebook und YouTube als Propaganda-Plattform nutzt. Er beruft sich dabei auf sein Recht »freedom to speech«, die ihm im 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zugesichert ist. Der 1791 verfasste Artikel schützt ausschließliche jede Meinungsäußerung, so dass Hate Speech in den USA in einem völlig anderen Kontext zu betrachten ist, und so kommt es auch, dass selbst Holocaust-Leugner ihre Meinung kundtun dürfen. Mit der Szene wollten wir diese nicht vorhandene Grenze verhandeln. Auf dem Sundance Film Festival war es für das linksliberale Publikum unerträglich, dass wir einen Rechtsradikalen zeigen. Es wird nicht mehr differenziert, was und wie man etwas zeigt. Wir haben mit der Szene ein Tabu in den USA gebrochen und erst nach großen Auseinandersetzungen in einer abgemilderten Fassung im Film belassen. Ich denke, dass dies jedoch schon ein weltweites Phänomen ist. Im Film verhandeln wir diese verschiedenen Grenzen des Zeigbaren, des Sichtbaren in den sozialen Medien.
Wir müssen uns bewusst machen, dass die Funktionsweisen der sozialen Medien auf die menschliche Psyche ausgerichtet sind und einen großen Einfluss auf unsere Kultur und Politik haben. Sie bestätigen nur die eigene Sichtweise, entsozialisieren das Individium und wirken wie Katalysatoren der Radikalisierung.
Die Fragen stellte Hendrik Rohlf