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Ein idealer Marktplatz ist das hier, ideal.

Eine Frau bringt sich ja nicht um. Nicht, weil die Arbeit aus ist. Kein Mensch bringt sich mehr um. Weil die Arbeit aus ist. Es hängt nicht mehr ein ganzes Leben an der Arbeit und deshalb auch nicht mehr so schnell als ganzes, am Stück, unterm Dachbalken. Heut sind wir zwei zum Glück gleichberechtigt: Ich hänge an meiner Arbeit und meine Arbeit an mir. Das Licht ist aus. Wir gehen nachhaus, rabimmel rabammel rabumm. Jeden Abend. Und morgens geht’s wieder an. Es gibt nichts Besseres als die Kühle des Morgens. Der einzig gute Schlag ins Gesicht, den man bekommt. Sommers wie winters. Auch wenn die Arbeit aus ist. Aber das kann ich meinem Mann schlecht sagen. Sonst denkt er gleich wieder, wer weiß was ist passiert. Da ist er wie ein Pferd vor einem Gewitter. Er weiß ja, dass ich nicht außer der Arbeit sein darf, dass es was anderes bedeutet als bei ihm. Wenn’s bei ihm schlecht läuft, schaut er sich das eine Weile an, und dann sucht er sich was Neues, was Besseres, und findet es meist auch. Dazwischen scharrt er vielleicht ein bisschen mit den Hufen, etwas nervös und etwas zu guter Dinge, aber das ist gut so. Ich dagegen komme immer gleich auf Ideen, sobald ich irgendwo raus bin, und er hat dann seine liebe Not, mich wieder irgendwo hineinzubekommen.

Ich wollte es eigentlich nur ein paar Tage hinauszögern, es ihm zu sagen, nur übers Wochenende, damit nicht wieder alles gleich so bleischwer wird. Doch dann bin ich am Montagmorgen einfach ins Kostüm und in den Zug gestiegen als wär nix. Anderthalb Stunden hin, anderthalb Stunden zurück, und dazwischen acht Stunden an der Alster hocken und Kaffee trinken. Das habe ich nach einer Woche nicht mehr so gut ausgehalten. Da bin ich lieber nach Frankfurt gefahren, hin und zurück macht das schon fast meinen Tag. Und jetzt mal Richtung Osten. Ich hab ja die Komfort-Karte, da kann ich hinfahren, wohin ich will. Ab jetzt kreuz und quer, erlaubt ist, was gefällt.

Ich reise zwar nicht gern, aber ich sitze gern im Zug. Wie die Bäume so verwischt an einem vorbeirauschen und überhaupt alles wie seine eigene Seele an einem vorbeirauscht, life is very short and there’s no ta-ha-ha-ha-heim, das ist schön. Im Zug gibt’s keine Zeit. Im Himmel keine Sünd und im Zug keine Zeit nicht. Man muss nur stur nach draußen schauen. Lesen darf man freilich nicht. Was, spielt keine Rolle, senkt einem alles den Kopf ab, und schon hat man seinen Punkt da draußen verloren und sofort wird die Zeit wieder zäh, stemmt sich gegen die Fahrtrichtung, taumelt fett und ungelenk zum Bordrestaurant. Es dauert so zwar höchstens drei Sekunden, bis sie an dir vorüber ist, aber ihr dümmlicher Gesichtsausdruck klebt dir noch Tage auf der Innenseite deiner Lider. Sie schaut halt aus wie du. Das darf man nicht so sehen. Führt zu nichts. Deshalb immer nur hinausschauen, schauen, schauen. Kein Bild mit den Augen festhalten. Sich nicht den Hals verrenken, das gefleckte Kalb da hinten oder die Kapelle da oben auf der schön gelb vertrockneten Hügelkuppe sind schon längst vorüber. Nicht mit dem Zeigefinger draufhalten, da! da! ach, schon weg, jetzt siehst du’s nicht mehr, man ist ja doch allein. Nirgends Halt machen und sich auf diesem Weg leer machen. And there’s no ta-ha-ha-ha-heim for fussing and fighting my friend. Und dann sich wieder füllen. So bin ich auf diese Idee gekommen.

Wenn man eine Zelle entkernt und dann die leere Hülle wieder mit genau dem füllt, was vorher drin war, dann, könnte man sagen, ist gar nichts geschehen. Und doch schaut man die Sache hinterher anders an. Man weiß: Etwas ist faul im Staate Dänemark. Den Moment, und sei er noch so kurz, wo die Hülle leer war, den vergisst man nicht wieder und auch nicht, wie der Kern mal da draußen herumgelegen hat. Im Stillen ist man da ganz außer sich vor Freude: Dass das funktioniert hat! Wenn man sich jetzt also entleert und dann gleich wieder mit sich selbst füllt, ist man hernach wieder ganz man selbst, intakt, ja man ist noch man selbster, intakter, als man je war. Die Hülle so weich und fest, geschmeidig dehnbar wie noch nie, ist man plötzlich aufs Angenehmste klar umrissen und kann mühelos sich selbst spielen. Und wenn das Spiel vorbei ist, schließt man einfach die Augen und bleibt in sich liegen wie in der warmen Wanne, muss nicht mehr wackelig und steifbeinig wieder von der Bühne runter und sich dann in der Garderobe beim Abschminken würdelos einreden, jetzt sei man wieder man selbst, traurig, aber wahr. Nein, du machst niemandem mehr was vor. Du hast endlich dein Tao gefunden.

Das muss man jetzt nur noch den Leuten irgendwie verkaufen. Sehen Sie her, meine Damen und Herren, ganz plastisch, wie eine Zelle eben, aber mehr so seelisch, verstehn S’? Schauen Sie, wenn ich’s geschafft hab, schafft es jeder! Ein Kinderspiel! Ich muss nur am nächstbesten größeren Bahnhof aussteigen, und schon hab ich die Leute im Sack. Wo bin ich denn hier? Ah ja, sehr gut, ausgezeichnet, hier aussteigen, ganz ausgezeichnet, so, da durch, immer weiter da durch, weitergehen, so, und sich jetzt einfach da aufstellen, ein idealer Marktplatz ist das hier, ideal. Nein, ist es nicht. Hier wollen die Leut bloß den alten Zwinger sehen oder die neue Frauenkirche, aber nicht mich. Ja gut, aber man muss halt die Leut schon auch ansprechen. Nein, mag ich nicht, die Leut, die saudummen Leut. Elendes Rentnerpack. Zu dumm, das Ganze, saudumm. So, jetzt aber. Dich derwisch ich, du Sau! Entschuldigen Sie, mein Herr, hätten Sie eine Sekunde Zeit für mich, nur eine Sekunde, die aber Ihr gesamtes Leben verändern könnte? Nein, nicht? Ja, geh weiter, geh scheißen! So, jetzt aber, Contenance, mein lieber Herr Gesangsverein, jetzt kost’s! Fix, fix, Kruzifix, wozu hat man schließlich ein solch schönes Kostüm an, oder? Bleiben Sie doch stehen, meine Dame, Sie haben ja das gleiche Kostüm an wie ich, da wird man sich doch noch verstehen dürfen, oder nicht? Nur eine kleine Frage, eine klitzekleine. Ja so warten Sie doch, treten Sie aus, treten Sie ein, in sich selbst, nur einmal kurz in die Fresse hinein und wieder zurück, es erfrischt Sie für Jahre, mein Herr!

Naja, anderswo haben sie auch schöne Marktplätze. Nein, niemand hat einen schönen Marktplatz, all eure Marktplätze sind gleich, und ich muss schnell wieder in den Zug hinein. Da mache ich mir nichts vor. Ah Gott, bitte einsteigen, Türen schließen selbsttätig, meine vielleicht nicht, aber deine schon, lieber Zug. So, haben wir alles? Ja, alles drin, ganz drin wieder. Nachhause fahren, nachhause zu meinem Mann. Gottseidank kann ich das von hier aus, also noch von mir aus sagen: Vom Marktplatz nach Haus, das geht. Auf direktem Weg, ohne umsteigen. Gott sei’s gedankt. Das geht noch immer.

  • short stories
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  • contemporary literature
  • avant-garde
  • the absurd

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Angelika Meier

Angelika Meier

studied German Literature and graduated with a PhD. She lives and works in Berlin.

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Angelika Meier: Stürzen, drüber schlafen

Diskrete Ausnahmezustände, heillose Ausweichmanöver, melancholischer Slapstick und verqueres Glück: Die kleinen Geschichten und Theaterstücke, die Angelika Meier in ihrem dritten Buch versammelt, eint eine höchst amüsante Traurigkeit. Gewissenhaft und mit gebotenem Sportsgeist, mitunter auch kindlich selbstvergessen spielen die Figuren hier ihre komischen Trauerspiele. Neben anderen treten auf: Jack Nicholson und ICH, die sich vom Fernsehsessel aus unversehens als neue Regenten Ägyptens wiederfinden; ein verhinderter »Waldbruder«, der sich von Jürgen Klinsmann geistige Führung erhofft; die Amazonenkönigin Penthesilea, die in Malibu Kleist liest und zaudernd noch einmal den Liebeskampf gegen Achill aufnimmt; oder ein Anwalt, der ein riesiges Loch im Bauch hat und sich daher mit einem »Kleidungsproblem« herumschlägt. Zu gewinnen gibt es freilich nichts, und nicht jeder kommt mit heiler Haut davon. Aber solange man spielt, kann einen niemand zwingen, man selbst zu sein.