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Andreas Grüner: Antike Reproduktionsmedien
Antike Reproduktionsmedien
(p. 59 – 94)

Münzen, Siegel und Stempel zwischen Serialität und Authentizität

Andreas Grüner

Antike Reproduktionsmedien
Münzen, Siegel und Stempel zwischen Serialität und Authentizität

PDF, 36 pages

Die materielle Kultur der hellenistisch-römischen Mittelmeerwelt war wie keine andere vormoderne Gesellschaft von Prozessen technischer Reproduktion geprägt. Dies gilt zum einen für die Quantität der technisch hergestellten Medien und Produkte, zum anderen für die enorme mediale Vielfalt dieser Objekte. Im Laufe der Jahrhunderte differenzierte sich eine große Palette an Formen, Materialien und Funktionen aus, die mit der enormen ökonomischen, sozialen und juristischen Komplexität dieser Kultur einherging.
Betrachtet man die technisch multiplizierten Medien als übergreifende Ordnungskategorie, so ergeben sich nicht nur Objektkonstellationen, die quer zum archäologischen Kategorisierungssystem laufen; es stellt sich auch heraus, dass technische Reproduktion unterschiedliche mediale Vorteile bot, je nach Funktion und Kontext:
Zum einen basierte der Erfolg der technischen Reproduktion auf der ökonomischen Rationalisierung von Produktionsprozessen, wie wir es etwa im Fall der Fabrikation von Terrakotten oder der Kennzeichnung von Massenwaren wie Amphoren beobachten können.
Im Fall des Siegels garantierte der Abdruck die Möglichkeit der sicheren Authentifizierung von Personen und Gegenständen, ohne die komplexere juristische und ökonomische Strukturen nicht funktionieren können. Entscheidend war dabei einerseits die Präzision der Wiedergabe, andererseits die beliebige Multiplikation dieser individuellen Präzision.
Zwischen Rationalisierung und Authentifizierung steht die Münze: Hier geht es einerseits um Massenproduktion, andererseits um Markierung – allerdings nicht um Authentifizierung.

Quasi-industrielle Produktionsprozesse und die Verwandtschaft antiker und neuzeitlicher Reproduktionsmedien wie Siegel und vor allem Münze gaukeln dem modernen Betrachter eine Vertrautheit vor, die bei genauerem Hinsehen jedoch durch gravierende mediale Differenzen konterkariert wird.
So zeichnen sich antike Terrakotten keineswegs durch eine grenzenlose Vervielfältigung identischer und kostengünstiger multiples aus, wie wir es etwa von modernen Kunststoffprodukten kennen – ganz im Gegenteil, Klitterung, Manipulation, Raubkopie und kreative Nachbearbeitungsstrategien führten eher zu einem Zuwachs an individuellen Objekten denn zu einer Flut erscheinungsgleicher Kopien. Ähnliches gilt für die Münzprägung: Durch die Präsenz zahlloser Varianten innerhalb einer Emission garantierte die Prägung keine Fälschungssicherheit; eine Eigenschaft materieller Zahlungsmittel, die dem heutigen Nutzer vollkommen selbstverständlich erscheint.
Problematisch bleibt die Frage, inwieweit der Modus der technischen Reproduktion zu einem Bedeutungszuwachs im Sinne einer ›Aura‹ beitrug, etwa im Falle des Siegels. Die quasi-photographische Präzision des Abdrucks mag in Verbindung mit dem spezifischen Körperbezug, die diesem Medium in der römischen Kultur eignete, beim betrachtenden Akteur zu einem subjektiven Eindruck von Präsenz und damit zu einem Mehr an Bedeutung geführt haben – eine reizvolle Vermutung, die aber nur unter der Bewältigung großer hermeneutischer Schwierigkeiten plausibel gemacht werden könnte. Sinnvoller wäre es womöglich, zunächst weiter nach jenen fruchtbaren Paradoxien zu fahnden, in denen sich die Bilder unseren medialen Vertrautheiten widersetzen: mächtigen Männern, die mit Fröschen siegeln, und Wasserzeichen, die Grimassen proben.

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Walter Cupperi (ed.): Multiples in Pre-Modern Art

Walter Cupperi (ed.)

Multiples in Pre-Modern Art

Hardcover, 304 pages

PDF, 304 pages

In the last years replicated objects have gained an increasingly central position in the discourse about ancient, medieval and early modern art. ›Multiples‹, we are often told, lack uniqueness, invention, autonomy, and sometimes even authorship. Indeed, ›multiples‹ can be powerful multipliers – in that they enhance the ›aura of the originals‹ that they replicate – but they remain secondary indexes pointing to an ›original‹ imbued with significance. Yet, what happens if ›multiples‹ do not refer to other artifacts at all, or if they are associated with other ›multiples‹ rather than with a first version in the mind of their owners? What happened when serially-made ›multiples‹ were not quite identical to each other, as was the rule with pre-modern artifacts? What shaped their identity and the perception of them as identical?
This collection of essays explores different forms of interaction between the making of artifacts in more than one specimen and their reception before the nineteenth century. It addresses media such as metal, wax, plaster, terracotta, textiles, marble, ivory, porcelain, canvases and tables in an attempt to re-assess the current identification of the mediality of prints with that of pre-modern ›multiples‹ in general.