Im Zuge der Debatten um die Überproduktion der Geisteswissenschaften hat das Paraphrasieren eine Stigmatisierung erfahren. Vor dem Hintergrund einer binären Logik des literarischen Eigentums wird die Paraphrase zunehmend ausschließlich als eine Verschleierung des Plagiarismus verstanden, als ein parasitäres Schreibverfahren, dem kein wissenschaftlicher Mehrwert zugesprochen werden kann. Der vorliegende Essay will demgegenüber die substanzielle Bedeutung herausarbeiten, die der Paraphrase im geisteswissenschaftlichen Arbeitsprozess zukommt. In drei Annäherungsversuchen – einem historischen, einem analytischen und einem methodologischen – soll dabei zugleich ausgelotet werden, inwiefern ein differenziertes Verständnis literarischer Aneignungsprozesse die wissenschaftliche Öffnung gegenüber der Paraphrase und den sich hinter ihr verbergenden Textdynamiken voraussetzt.