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Diedrich Diederichsen: Olympier und Fans, Rezipienten und Götter
Olympier und Fans, Rezipienten und Götter
(p. 241 – 252)

Menschen als Medien in verschiedenen Stadien der Kulturindustrie

Diedrich Diederichsen

Olympier und Fans, Rezipienten und Götter
Menschen als Medien in verschiedenen Stadien der Kulturindustrie

PDF, 12 pages

Die Geschichte der Kultur und der Medien im 20. Jahrhundert ist eine Geschichte der Kultur-Idolatrie und, damit eng verknüpft, des Passivitätsverdachts. Kultur-Götter wie der klassische Hollywood- und der ihn seit den 50er Jahren ablösende Pop-Star sind, so die Passivitätskritiker, genauso wie ihre medialen Priester mitverantwortlich für die Verführung und (Selbst)Entmündigung des Rezipienten. Zugehörige Schlüsseldiskurse liefern sowohl das Bildungsbürgertum als auch die kritische Theorie. Wie sich die zugehörigen Menschenbilder und darauf reagierende »Befreiungsstrategien« aus diesem Verdachtsmoment heraus bis heute entwickelt haben, wird besonders gut in den popkulturellen Spielformen der Konstruktion von Identität sichtbar.

Der klassische Hollywood-Star war als eine Figur angelegt, zu der die Rezipienten ein Verhältnis des Begehrens entwickeln sollten, das mit klaren hierarchisch verteilten Rollen verbunden war. Die Fotografien der 1930er Jahre, etwa eines George Hurrel, die entscheidend zum Begriff des Stars beigetragen haben, konstruieren die von ihnen Porträtierten als engelhafte, übernatürliche Wesen, umgeben von Aureolen und anderen ausgestellt artifiziellen Lichteffekten, die sich in einem Lebensraum aufzuhalten scheinen, der dem von Göttern gleicht. Zugleich steht dieser olympische abgehobene Ort in einem Verhältnis zu einem in der gleichen Zeit entstandenen irdischen Image des Stars, das in den legendären Klatschkolumnen wie der von Louella Parsons und anderen, ebenfalls verstärkt seit den 1930er Jahren, entwickelt wird. Dieses kann nun entweder im Modus des Gegensatzes bieder oder skandalös ausfallen oder auch, wie im Falle Greta Garbo, das von Film und Starfotografie verbreitete Bild bestätigen; in jedem Fall aber entsteht erst durch diese Doppelung des öffentlichen Bildes die Hermetik des alten Starbegriffs. Erst die gut eingespielte Zusammenarbeit von Hagiographie und Klatsch sorgte für eine sorgfältig abgedichtete Welt, die der von Königen, Adligen und politischen Führern glich und den Rezipienten die Rolle des unterwürfig Verehrenden und Begehrenden zuwies. Diese Kon­stellation konnte den zweiten Weltkrieg gerade noch überleben, wurde aber in den neu geordneten Kulturindustrien des Fernseh- und Pop-Zeitalters überarbeitet. 


Der Hollywood-Star und die für ihn geschaffenen Rezeptionsdispositive, das dunkle Kino, die mit künstlichem Licht oder kalifornischer Sonne überbeleuchteten Bilder, die Zeitschriften und Fan-Clubs hatten von jeher eine Kritik auf den Plan gerufen, die Hollywood ­Passivierung vorwarf; ein Vorwurf, der ebenso von links im Namen von unterworfenen Arbeitern und Ladenmädchen wie von Seiten bürgerlicher Positionen und ihrer Bildungsideale erhoben wurde. Bildung, Erziehung im Zeitalter von Kulturindustrie und Massenkulturen muss mehr noch als ihre historischen Vorläufer nicht so sehr die Unbildung und das Nichtwissen bekämpfen. Ihr Feind ist häufiger noch die Fehlbildung und das falsche Wissen, in der kritischen Variante: das falsche Bewusstsein. Auch schon vor den schnell erreichbaren, zu schnell zufrieden stellenden Massenmedien hatte es dieses Problem gegeben. Ästhetische Erziehung, spätestens im bürgerlichen Sinne, wollte ja keine Erziehung zum Konsum sein, zum bloßen Genuss der Künste, wie es ein dekadenter Adel vorgelebt hatte. Daher mussten Bürgerkinder nicht lernen, zu genießen, sondern selber zu produzieren oder doch zu reproduzieren. Das Ideal einer Kunst, die aus Texten bestand, die man nicht einfach aufnehmen, sondern dadurch in den eigenen Besitz bringen sollte, dass man sie aktiv auswendig lernt, reproduziert, nachspielt, wurde...

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Diedrich Diederichsen

Diedrich Diederichsen

is an author, music journalist and cultural critic. Based in Germany, Diederichsen made a name with his interdisciplinary research on political aspects of the arts and pop culture. As a prolific writer his articles and texts are printed in a variety of periodicals and publications. He was visiting professor in Frankfurt, Stuttgart, Pasadena, Offenbach, Giessen, Weimar, Bremen, Vienna, St. Louis, Cologne, Los Angeles and Gainesville. After teaching at the Merz Academy in Stuttgart for several years, he became Professor for Theory, Practice and Communication of Contemporary Art at the Academy of Fine Arts Vienna in 2006.

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18 Exkurse zum Verhältnis von Künsten und Medien

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Die vielfach geforderte Freiheit des Einzelnen, Kunst nach eigenem Gutdünken zu rezipieren, zu genießen, aber auch zu produzieren und damit zu definieren, ist heute weithin Realität geworden. Wir leben im Zeitalter der Laienherrschaft in den Künsten und den mit ihnen verbundenen Medien: einem Regime, das auf der Dynamik der Massen-Individualisierung und dem Kontrollverlust etablierter Autoritäten beruht, in dem jede Geltung relativ ist und die Demokratisierung in ihrer ganzen Ambivalenz zum Tragen kommt.

Die Essays und Interviews des Bandes kreisen um die Figur des Kulturpublizisten. Wie wirken Ökonomisierung und Digitalisierung auf sein Selbstverständnis ein? Wie sieht es mit der gegenwärtigen Rollenverteilung zwischen Publizist und Künstler aus? Wie verhält sich der Publizist gegenüber dem immer eigenmächtiger auftretenden Rezipienten? Der zeitgenössische Kulturpublizist tritt als Diskursproduzent und als Weitererzähler flüchtiger Wahrnehmung auf; doch auch als Interpret, der als Leser und in diesem Sinne als »Laie« seine Stimme entwickelt – jenseits aller Reinheits- und Absicherungsgebote, die etwa die Wissenschaft aufstellt. Eine Kultur des Interpretierens als eine von der Laienperspektive her gedachte Kultur der Subjektivität, der Aufmerksamkeit, der Sprache und der Auseinandersetzung mit den Künsten ist in Zeiten der Digitalisierung eine unschätzbar wertvolle, omnipräsente und zugleich bedrohte Ressource.

Mit Zeichnungen von Yves Netzhammer.

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