Der Künstler als nützliches Element in der Gesellschaft, Hand in Hand zusammenarbeitend mit Instanzen der Politik, der Bildung oder der Industrie, außerdem in wissenschaftlich akzeptabler Weise artikulierend, worin der Sinn und die Bedeutung seines Wirkens besteht: All dies ist angelegt in den vielfältigen Zuschreibungen, die sich mit dem Begriff der »künstlerischen Forschung« verbinden. Autonomie war gestern, Heteronomie ist das Gebot der Stunde. Soll diese Heimholung des Künstlers in die Gesellschaft nicht zur Heimsuchung werden, lohnt sich eine erhöhte Aufmerksamkeit auf das, was möglich ist, wenn Künstler mit ihren Mitteln forschen, und wenn dabei die von Bruno Latour vorgeschlagene Unterscheidung zwischen Forschung und Wissenschaft ernst genommen wird.
1. Es geht weiter
Das 20. Jahrhundert, insbesondere dessen zweite Hälfte, war das Jahrhundert der Erweiterungen und Entgrenzungen. Wer als Denker oder Künstler auf sich aufmerksam machen wollte, tat gut daran, irgendeinen Begriff, ein Theorem, eine Disziplin, eine Praxis oder ein System jenseits ihrer angestammten Gültigkeitsbereiche neu zu formulieren. Adorno und Horkheimer erweiterten in ihrer Dialektik der Aufklärung den Radius der Mythologie. Fortan galt selbst die vernunft- und fortschrittsgläubige Aufklärung als Hort der Mythenbildung. Joseph Beuys und Andy Warhol entgrenzten den Kunstbegriff. Fortan galt jeder Mensch als möglicher Künstler, gerade auch die Dilettanten und Laien. Die Aktivisten der 68er-Generation erweiterten den Begriff des Politischen. Fortan galt auch das Private als politisch. Michel Foucault entgrenzte den Machtbegriff. Fortan war die Macht überall, durchdrang selbst noch die Kritik der Macht.
Zu diesen expliziten traten implizite, nicht-intentionale Erweiterungen und Entgrenzungen. Säkularisierung, Demokratisierung, soziale Mobilität, Massenkonsum sowie die elektronischen Medien hatten zur Folge, dass die Atome im Reagenzglas der Moderne durcheinandergeschüttelt wurden und stetig neue Moleküle bildeten.
2. Es geht weiter weiter
In den Künsten erleben wir aktuell eine erweiterte Form der Erweiterung, gewissermaßen ein »langes 20. Jahrhundert«. Mit dem durch die Bologna-Reform institutionalisierten Trend zur »künstlerischen Forschung« – wahlweise artistic research, arts based research oder research in the arts – wird das klischeehaft-mythische, aber vielleicht gerade deshalb so einflussreiche Bild vom modernen Künstler als autonomem Helden der Nutzlosigkeit in Frage gestellt. Die Künstler der Moderne, welche ihr Schaffen bewusst von anderen sozialen Systemen wie Politik und Ökonomie unterschieden, wilderten zwar de facto in allen möglichen Gebieten der Kultur. Doch sie pochten dabei auf das, was der Soziologe Max Weber die typisch moderne »Ausdifferenzierung der Wertsphären« nannte, sprich, auf ihre Autonomie, gerade im Angesicht der Heteronomie. So schrieb der Maler Robert Motherwell 1944: »In der Moderne vollzieht sich ein so tiefer und umfassender Bruch zwischen Künstlern und anderen Menschen, wie es ihn in der Geschichte noch nicht gegeben hat.« Motherwell wähnte sich als Künstler in einem »spirituellen Untergrund«.1
Mit dem Popzeitalter der Nachkriegszeit begann sich der Bruch zu schließen. »Cross the Border, Close the Gap«2 lautete das Gebot der Stunde. Die heutigen Propagatoren künstlerischer Forschung setzen den Profanierungs- und Integrationsprozess, welchen Künstler wie Andy Warhol in der Postmoderne mit popistisch-konsumistischen Mitteln forcierten, mit akademischen Mitteln fort. Sie betrachten Künstler ebenfalls unter reichlich prosaischen Auspizien, doch nicht länger wie Fiedler und Warhol als go-betweens zwischen »High« und »Low«, sondern als Vermittler zwischen Ästhetik, Wissenschaft und Technologie, versiert sowohl in der diskursiven...