Badious 15 Thesen zirkulieren in verschiedenen Ausarbeitungen seit einigen Jahren im Zwischenbereich zwischen Kunst und Philosophie. Kunst ist etwas wesentlich anderes als die »totale Zurschaustellung von Partikularismen«. Sie darf nicht in die Romantik der expressiven Kreativität regredieren, wenn sie den Anspruch auf Universalität aufrechterhalten will. Zu ihr gehört vielmehr eine gewisse Nüchternheit und »anti-romantische Kälte«. Sie ist – wie die Mathematik – ein unpersönlicher Akt: »Der Künstler ist das neutrale Element« dieses Akts und seiner Affirmation.
1. Kunst ist nicht der erhabene Abstieg des Unendlichen in die endliche Verworfenheit des Körpers und der Sexualität. Sie ist im Gegenteil die Produktion einer unendlichen subjektiven Reihe durch die endlichen Mittel einer materiellen Subtraktion.
2. Kunst kann nicht lediglich Ausdruck einer Besonderheit sein (sei sie ethnisch oder persönlich). Sie ist die unpersönliche Produktion einer Wahrheit, die sich an alle richtet.
3. Die Wahrheit, deren Prozess die Kunst ist, ist immer Wahrheit des Sinnlichen als Sinnlichen. Das heißt: Transformation des Sinnlichen in ein Ereignis der Idee.
4. Es gibt notwendig eine Pluralität der Künste. Eine Totalisierung dieser Pluralität ist nicht vorstellbar, ungeachtet der möglichen Überschneidungen zwischen ihnen.
5. Jede Kunst entwickelt sich aus einer unreinen Form, und die Purifizierung dieser Unreinheit bildet die Geschichte sowohl der künstlerischen Wahrheit als auch ihrer Erschöpfung.
6. Die Subjekte einer künstlerischen Wahrheit sind die Werke, aus denen sie besteht.
7. Dieser Bestand ist eine unendliche Konfiguration, die im gegenwärtigen künstlerischen Kontext eine generische Totalität ist.
8. Das Reale der Kunst ist die ideelle Unreinheit als immanenter Prozess ihrer Purifizierung. Anders gesagt: die Kunst hat als Rohstoff die ereignishafte Kontingenz einer Form. Die Kunst ist die zweite Formalisierung des Aufkommens einer bis dahin formlosen Form.
9. Die einzige Maxime der gegenwärtigen Kunst ist, nicht imperial zu sein. Das heißt auch, dass sie nicht demokratisch sein darf, wenn demokratisch bedeutet: konform der imperialen Idee der politischen Freiheit.
10. Eine nicht imperiale Kunst ist notwendig eine abstrakte Kunst, in dem Sinn, dass sie von jeder Besonderheit abstrahiert und diesen Abstraktionsgestus formalisiert.
11. Die Abstraktion der nicht imperialen Kunst richtet sich an kein besonderes Publikum. Die nicht imperiale Kunst ist an einen proletarischen Aristokratismus gebunden: Sie tut, was sie sagt, ohne Ansehen der Person.
12. Die nicht imperiale Kunst muss so festgefügt sein wie ein Beweis, so überraschend wie ein nächtlicher Hinterhalt und so hoch wie ein Stern.
13. Die heutige Kunst kann nur von dem ausgehend gemacht werden, was für das Imperium nicht existiert. Durch ihre Abstraktion macht die Kunst diese Inexistenz sichtbar. Das ist es, was das formale Prinzip jeder Kunst regiert: das Vermögen, für alle sichtbar zu machen, was für das Imperium – und damit, in gewisser Hinsicht, für alle – nicht existiert.
14. Überzeugt, den gesamten Bereich des Sichtbaren und des Hörbaren durch die kommerziellen Gesetze der Zirkulation und die demokratischen Gesetze der Kommunikation zu kontrollieren, übt das Imperium keine Zensur mehr aus. Sich dieser Erlaubnis zum Genuss hinzugeben, bedeutet den Ruin aller Kunst wie auch den allen Denkens. Wir müssen unbarmherzige Zensoren unserer selbst sein.
15. Es ist besser, gar nichts zu machen, als formal an der Sichtbarkeit dessen zu arbeiten, was für das Imperium existiert.