1868
Richard Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« im Spannungsfeld von Inventio und Memoria
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In diesem Beitrag geht es um das Modell der Improvisation, das in Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg entworfen wird. Der Fokus liegt dabei auf dem Verhältnis von inventio und memoria: Während in der Antike die Stegreifrede eng an Schriftkultur und regelgeleitete Rhetorik gebunden bleibt, entwirft die Genieästhetik des 18. Jahrhunderts ein Konzept ›natürlicher‹ Einfallsproduktion. Wagner nimmt diese Idee auf, entwickelt sie jedoch weiter: Die improvisiert hervorgebrachten Einfälle sollen im Gedächtnis gespeichert werden und zugleich von der Schrift gelöst werden. Deshalb stellt Wagner einen Bezug her zur romantischen Idee eines unbewussten Bild-Speichers, mit dem die Einfälle verbunden bleiben und so mit dem Konzept der memoria in Einklang gebracht werden können.
Wenn eine Kultur etwas als Erfindung akzeptiert, dann hat dieses Etwas bereits den Status einer Tatsache erhalten, die vorhanden ist und auf ihren Nutzen oder auf ihre Funktion hin befragt werden kann. Was aber geschieht davor? Wie gewinnt das Erfundene Wirklichkeit? Wie in der Kunst, wie im Theater, wie in der Literatur und Musik, wie in der Wissenschaft? Und mit welchen Folgen? Die Beiträge in diesem Band beschäftigen sich alle mit einem Moment oder einem bestimmten Modell der Invention. Ausgehend von den jeweils involvierten Medien wird der Versuch unternommen, diese Momente und Modelle zu rekonstruieren. Um etwas über die entsprechenden Inventionen in Erfahrung bringen zu können, werden diese als Ergebnisse oder Effekte von Improvisationsprozessen begriffen: Improvisationen in dem Sinne, dass von einem grundsätzlich offenen Zukunftsspielraum ausgegangen wird, gleichzeitig aber auch davon, dass es ein Umgebungs- und Verfahrenswissen gibt, das im Einzelfall beschrieben werden kann.