Wer die Rechtsprechung nutzt, um den politischen Gegner zu schwächen, handelt den Grundprinzipien einer neutralen, dezidiert unpolitischen Justiz zuwider, die als der Norm- und Normalfall liberaler Rechtsstaaten angesehen wird. Diese bis heute dominierende Ansicht stellte Otto Kirchheimer 1961 mit seinem Buch Political Justice: The Use of Legal Procedure for Political Ends grundsätzlich in Frage, indem er politische Justiz als integralen Bestandteil liberaler Rechtsstaaten definierte. Der Kommentar geht auf die biografischen und editorischen Hintergründe von Kirchheimers Abhandlung ein und arbeitet das Spezifische an Kirchheimers Begriff der »politischen Justiz« in Abgrenzung zum Begriff der »Klassenjustiz« heraus. Kirchheimers Ansatz erkennt das Politische in der Justiz, zeigt aber auch die Grenzen der Politisierbarkeit auf und öffnet damit den Blick für konkrete politische Handlungsspielräume, Legitimierungsstrategien und Wahrheitsregime, die juristische Verfahren bis heute hervorbringen.